Therapie
Die Therapie von chronischen Schmerzen: (Lesedauer: 10 Minuten)
Erste Anlaufstelle ist der eigene Hausarzt oder ein ähnlicher Facharzt, der Befunde sammelt, und Betroffene als eine Art „Lotse“ an Spezialisten überweisen kann. Nach Ausschluss schwerwiegenderer Verletzungen oder Krankheiten durch diesen und um einer weiteren „Chronifizierung“ der Schmerzen entgegenzuwirken, sollte die Behandlung möglichst früh beginnen. Da akute Schmerzen meist nach einigen Wochen von selbst verschwinden, sollten Betroffene sich zunächst aktiv verhalten. Aktiv heißt hier: Nach Expertenmeinung sollte darauf geachtet werden, sich möglichst regelmäßig zu bewegen und Schonhaltungen (z.B. Couch oder Bett) zu vermeiden. Im Notfall sind 1-2 Tage „Bettruhe“ möglich, danach sollte so schnell wie möglich die Aktivität wieder aufgenommen werden. Tritt keine Besserung ein, sollte in Absprache mit dem Arzt eine geeignete weitere Behandlung gewählt werden. Es sollte nicht zu viel oder zu lange nach der „einen“ körperlichen Ursache gesucht werden, sondern der Fokus sollte so schnell wie möglich auf aktive Therapiemöglichkeiten gelegt werden. Ernsthafte Schädigungen sind sehr selten und können oft schnell ausgeschlossen werden. Zu viele Untersuchungen führen zu Frustration, Hilflosigkeit und Fixierung auf die Ursachensuche. Stattdessen sollten die Betroffenen zu Experten ihrer eigenen Schmerzen werden und Möglichkeiten entwickeln, diese zeitnah aktiv zu bewältigen. Gute Behandlungsmöglichkeiten können z.B. ein Schmerzzentrum oder eine Schmerzpraxis bieten.
Warnzeichen („Rote Flaggen“)
Vorsicht ist geboten bei unfallbedingten Schmerzen, Taubheitsgefühlen in den Gliedmaßen, Fieber, Blässe, Übelkeit, Lähmungen, Verlust der Blasen- und Darmfunktion und ähnlichen Symptomen. In diesen Fällen sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden.
Besser aktiv als passiv
In der Schmerztherapie wird ausdrücklich empfohlen, vor allem auf aktive Behandlungsansätze zu setzen, also auf Eigenübungen und Eigenbewegungen des Betroffenen. Passives „sich behandeln lassen“ kann eine sehr sinnvolle Ergänzung sein, sollte aber niemals die Eigenaktivität ersetzen! Durch Passivität baut der Körper ab (u.a. muskulär) und die Schmerzen verstärken sich (s.u.).
Neuroplastizität
Das menschliche Gehirn besteht aus Billionen von Verknüpfungen. Wir lernen in Netzwerken. Wird ein Schmerzsignal über einen längeren Zeitraum wiederholt, verstärken sich (leider) auch die entsprechenden Verknüpfungen im Körper und im Gehirn. Ein „Löschen“ des „gelernten“ Schmerzes ist leider nicht möglich, genauso wenig wie wir ihn auf Knopfdruck vergessen können. Was ist die Alternative? Stellen wir uns das Gehirn mit seinen Verbindungen wie ein Netz von Wegen und Straßen vor. Je öfter wir etwas erleben (bzw. je öfter wir einen Weg gehen), desto klarer wird der Weg/die Straße. Ziel einer Therapie ist es nun, neue Verbindungen (Wege) aufzubauen und durch regelmäßige Wiederholung zu festigen. Dadurch können alte, unerwünschte Verbindungen geschwächt und neue, gesündere Verbindungen gestärkt werden. Bis irgendwann die neuen Verbindungen stärker sind und diese ersetzen.
Bewegung
Bewegung ist das oberste Gebot in der Schmerztherapie. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass man sich so oft wie möglich in einem Ausmaß bewegt, das weder über- noch unterfordert. Durch eine stetige Steigerung der Aktivität kann die eigene Leistungsfähigkeit allmählich erhöht werden. Ein Vorteil von Bewegung ist, dass unter anderem das “Glückshormon“ Endorphin ausgeschüttet wird. Es gilt als körpereigenes und bestes Schmerzmittel, da es Schmerzen hemmt und keine unerwünschten Nebenwirkungen hat. Wie die Bewegung genau aussieht, ist zweitrangig. Möglichkeiten der Aktivierung sind: Spazierengehen, Nordic Walking, Radfahren oder Schwimmen. Bei stärkerer Belastung ist auch Bewegung im Sitzen möglich. Zusätzlich zu empfehlen ist regelmäßige Gymnastik, Yoga oder Physiotherapie.
Endorphine werden ausgeschüttet, um Freude zu empfinden. Deshalb ist es so wichtig, positive Aktivitäten zu planen, die uns Freude bereiten. Wenn es schwerfällt und kurzfristig Überwindung kostet, sollte man auch hier darauf achten, nicht gleich zu viel zu wollen. Stattdessen sollte man sich langsam steigern.
Muskelaufbau
Bei chronischen Schmerzen ist es wichtig, Muskeln aufzubauen, die den Körper stützen. Vor allem die innere stabilisierende Muskulatur sollte gestärkt werden. Sprechen Sie ihren Physiotherapeuten darauf an. Rücken- und Bauchmuskulatur können mit Hilfe von speziellen Therapeuten, Büchern oder Internetvideos gestärkt werden. Achten Sie auf die richtige Ausführung und üben Sie vor allem viel selbst.
Akute Hilfe
Bei starken Schmerzen sind Wärmeanwendungen das Mittel der Wahl. Auch Massagen können helfen. Tritt keine Besserung ein, können in Absprache mit dem Arzt Medikamente oder Spritzen (Injektionen) die Schmerzen lindern. Beides sind kurzfristige Hilfen, um wieder aktiv zu werden und die Beweglichkeit wiederherzustellen.
Informationen sammeln
Obwohl man oft glaubt, keinen Einfluss auf die eigenen Schmerzen zu haben, kann man das Schmerzempfinden sehr wohl beeinflussen. Es empfiehlt sich, Situationen zu sammeln, die Schmerzen verstärken oder lindern, z. B. mit Hilfe eines Schmerztagebuchs* oder eines Tagebuchs mit schmerzarmen Situationen.
Erfasst werden Zeitpunkt, Tätigkeit (was und wie lange), Form (stehen, sitzen, liegen), Ort, Gedanken und das Schmerzempfinden sowie eventuelle Medikamente. Durch das Führen eines Schmerztagebuches können positive und negative Einflussmöglichkeiten auf den Schmerz festgehalten werden. Häufig besteht nämlich die irrige Annahme, dem Schmerz „ausgeliefert“ zu sein.
Nachdem klarer geworden ist, welche Dinge den Schmerz positiv und negativ beeinflussen, kann anhand eines Wochenplans im Voraus festgelegt werden, was in der kommenden Woche vermieden und was in den Alltag eingebaut werden soll, um den Schmerz etwas zu reduzieren. Das Ziel ist eine minimale, aber regelmäßige Schmerzreduktion.
Link: PDF Vorlage Schmerztagebuch
Link: PDF Vorlage Wochenplan
Den Alltag überprüfen
Aufgrund der vielen Fehlbelastungen, die die heutige Zeit mit sich bringt, kann eine genaue Analyse des Alltags sinnvoll sein. Dabei sollte man einen typischen Arbeitstag Schritt für Schritt durchgehen und überlegen, wo mögliche Belastungen sowohl psychischer als auch physischer Art liegen.
Sitze ich zu viel bei der Arbeit? -> Zwischendurch kurze Pausen einlegen. Auf Spaziergänge achten. Bücke ich mich häufig? -> Auf die richtige Technik beim Bücken achten und Mobilisations- oder Ausgleichsübungen machen. Wer viel hebt oder sich bückt, lange sitzt oder steht, braucht besonders viel Abwechslung/Pausen. Gibt es Konflikte, z.B. am Arbeitsplatz? -> Den Umgang mit eigenen Konflikten reflektieren.
Wer sich nach einem Arbeitstag regelmäßig erschöpft, verspannt, gestresst oder antriebslos fühlt, sollte hier etwas ändern.
Entspannungsübungen
In einem Teufelskreis verkrampfen sich Muskeln, die Schmerzen verursachen, und gleichzeitig verkrampfen sich Muskeln als Folge von Schmerzen. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist es sinnvoll, neben der aktiven Arbeit am Körper auch Entspannungstechniken zu erlernen. Viele Betroffene berichten von guten Erfahrungen mit der Progressiven Muskelentspannung, die relativ einfach zu erlernen ist. Atemübungen helfen, die Atmung zu vertiefen, das vegetative Nervensystem zu beruhigen und dadurch Erleichterung zu erlangen. Imaginationsübungen („Traumreisen“) sind eine gute Möglichkeit, gedanklich abzuschalten und Gefühle zu beeinflussen.
Link: Verschiedene Entspannungsübungen
Behandlung weiterer Symptome
Ob Schlafprobleme, zu viel Stress oder zu viel Grübeln: Auch daran kann man arbeiten und über einen längeren Zeitraum eine Symptomreduktion erreichen. Informationen dazu finden Sie hier auf der Website.
Spezielle Schmerztherapie
Bei starken Schmerzen sollten spezialisierte ambulante Therapieversuche unternommen werden. Führen diese nicht zu einer befriedigenden Besserung der Symptomatik, kann eine multimodale (stationäre) Schmerztherapie durchgeführt werden. Hier wird die Schmerzsymptomatik von verschiedenen Berufsgruppen untersucht und ein Behandlungsplan erstellt, den der Schmerzpatient dann zu Hause weiter einhalten soll.
Psychotherapie
Es gibt verschiedene Gründe, eine Psychotherapie zu beginnen. Wer einen Leidensdruck verspürt oder sich in seinem Alltag beeinträchtigt fühlt und sich Hilfe wünscht, kann Unterstützung finden. In einer Psychotherapie können Faktoren, die das eigene Schmerzempfinden verstärken, herausgearbeitet und schrittweise abgebaut werden. Das können zum Beispiel ungünstige Gedanken, Verhaltensmuster oder Gefühle auf biologischer, psychologischer oder sozialer Ebene sein.
Die wichtigste Person sind Sie selbst!
Alle genannten Möglichkeiten setzen eine gewissenhafte Mitarbeit der Betroffenen voraus. Wir wissen heute aus der Forschung, dass die eigene Mitarbeit die wichtigste Komponente in der Schmerztherapie ist. Ziel einer Schmerztherapie muss es sein, eigene Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Schmerz zu entwickeln. Nach anfänglicher Hilfestellung durch Ärzte, Physiotherapeuten oder Psychotherapeuten soll das Gelernte selbstständig umgesetzt werden, um langfristig unabhängig zu werden.
Dies war der psychoedukative Teil der Website zum Thema chronische Schmerzen. Probieren Sie gleich eine Entspannungsübung aus:
Entspannungsübungen und Achtsamkeit
Zusammenfassung:
- Schmerzen können nicht vergessen, aber schrittweise verlernt werden.
- Aktivität ist der wichtigste Teil der Behandlung und sollte schrittweise aufgebaut werden.
- Im Alltag muss darauf geachtet werden, weder über- noch unterfordert zu sein.
- Aktive eigenständige Behandlungsansätze sind passiven vorzuziehen.
- Verspannte Muskeln lockern, stützende Muskelgruppen stärken.
- Entspannungsübungen helfen, Verspannungen zu lockern.
- Die wichtigste Person der Schmerztherapie sind Sie selbst.