Entstehungsmodelle

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Das Bio-Psycho-Soziale Modell (Lesedauer: 14 Minuten)

Bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von chronischen Schmerzen sind immer sowohl biologische (körperliche), als auch psychologische und soziale Faktoren beteiligt. Diese Faktoren beeinflussen sich gegenseitig und letztendlich den Schmerz.

Im Folgenden sind Faktoren aufgezählt, die der Schmerzforschung nach in der chronifizierung von Schmerzen eine wichtige Rolle spielen und die (chronische) Schmerzen verstärken:

Biologische Faktoren Psychologische FaktorenSoziale Faktoren
VerspannungenStress & ÜberforderungEinsamkeit
Verminderte Beweglichkeit (Verkürzungen)Konzentration auf die SchmerzenKonflikte
Muskuläre DefiziteUnsicherheitenLernerfahrungen in der Kindheit
KoordinationsproblemeKatastrophisierenVerlust soziale Rolle
Bewegungsmangel (Rückzug/ Schonung)SelbstwertproblemeÜberforderung im Beruf oder Privat
Einseitige Belastungen, FehlhaltungenGedanken: "Belastung schadet", "Schmerz ist unkontrollierbar", "Vor der Aktivität muss der Schmerz verschwunden sein".Umfeld: nimmt zu viel Arbeit ab/ reagiert negativ auf Schmerz oder hat selber Schmerzen
Genetische Faktoren / GeschlechtGefühle: Angst (vor Schmerzen), Depression, Hilflosigkeit, WutArbeitsplatz: Schadet dem Körper, Unzufriedenheit
SchlafproblemeVerhalten: Schonverhalten, Rückzug, Vermeidungsverhalten, Schmerzverhalten
Medikamentenmissbrauch

Das Fass-Modell: Die oben genannten Faktoren füllen das eigene „Fass“. Wenn zu viel Belastungen in der Vergangenheit und Gegenwart das Fass füllen und gleichzeitig wenig Entlastung (Abfluss) vorhanden ist, läuft das Fass irgendwann einmal über. Die Schmerzen verstärken sich und Schmerzkrankheiten können entstehen. Bei Dauerstress („…mir steht das Wasser bis zum Hals“) können schon Kleinigkeiten ausreichen, um das Fass zum überlaufen zu bringen. 

Teufelskreis Schmerz:

Sogenannte „Teufelskreise“ erklären die Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzerkrankungen.

Frau Müller ist im Alltag häufig gestresst und teilweise überfordert. Sie arbeitet zu viel, macht wenig Pausen und möchte alles „Perfekt“ machen. Dies führt häufig zu Stress und damit auch zu einer unbemerkten inneren Anspannung. Diese Anspannung führt automatisch auch immer zu einer muskulären Anspannung. Sie hat deshalb abends und auch früh morgens häufig Nacken- und Rückenschmerzen und fühlt sich dann energielos. Durch die dauerhafte Belastung ihres Körpers verändert sich ihre Körperhaltung über die Jahre. Sie bewegt sich weniger (da sie sich abends erschöpft ausruhen möchte). Durch das viele Sitzen und wenige Bewegen werden ihre Muskeln schwächer und verkürzen teilweise, durch Rückzug (sie hat in ihrer Freizeit keine Energie mehr übrig) werden ihre sozialen Kontakte weniger. Sie wird frustriert und ihre Lebensqualität sinkt. Die Verspannungen nehmen weiter zu. Ein Aufschaukelungsprozess (Teufelskreis) entsteht. An dessen Ende häufig massive Einschränkungen im Alltag stehen und nur noch versucht wird, irgendwie „durchzuhalten“. All diese Veränderungen verstärken an sich wiederum den Schmerz.

Das Fear-Avoidance Modell: Zuerst wird Schmerz empfunden (Schmerzerleben) (rot). Die Überzeugung, dass Aktivität zu einer Schmerzverstärkung führt (blau), löst Angst vor Schmerzen bzw. einer Verletzung aus (grün) und als Folge dessen wird immer mehr Aktivität vermieden (gelb). Langfristig entwickelt sich aufgrund der Inaktivität und der Vermeidung von Bewegung eine chronische Schmerzkrankheit. Die Bewertung „Aktivität führt zu mehr Schmerz“ (häufig in Kombination mit „Mein Schmerz hat eine körperliche Ursache“) verstärkt hier die Angst vor bestimmten Bewegungen bzw., sich zu verletzen. Es folgt Rückzug als Verhalten, was langfristig die Schmerzen wiederum erhöht. Ein weiterer Teufelskreis.

Das Avoidance-endurance-Modell: Viele Menschen reagieren auch mit „durchhalten“ und „Zähne zusammenbeißen“ auf den Schmerz. In Folge des Schmerzes wird dann versucht, sich gedanklich abzulenken und weiterhin volle Leistung zu bringen. Dies führt langfristig zur Überlastung des Körpers und bestimmten Muskeln, somit auch zu einer langfristigen Schmerzzunahme.

In der folgenden Grafik sind beide Modelle zusammengefasst. Sowohl das Katastrophisieren mit folgenden Angst, Schonhaltungen und Vermeidung von Bewegung, als auch das Gegenteil „Durchhalten“ durch Ablenken und ignorieren des Schmerzes führen beide zu chronischem Schmerz. Besser ist der Weg der flexiblen Anpassung durch viel Bewegung mit ausreichend Pausen.

Was haben die Modelle gemeinsam?

Alle Modelle beschreiben ähnliche Vorgänge. Häufig wird aufgrund bestimmter Verhaltensmuster oder Glaubenssätze im Alltag Stress erzeugt, der sich auf den eigenen Körper auswirkt, der teilweise verkrampft und teilweise geschwächt wird. Nachdem Schmerzen über einen langen Zeitraum entstehen, ziehen sich Betroffene häufig zurück, schonen sich, vermeiden bestimmte Bewegungen und verlieren viel Lebensqualität. Genau das jedoch schwächt den Körper langfristig und sorgt so für eine Schmerzzunahme.

Eine typische Schmerzgeschichte:

Anne berichtet, „schon immer“ gelegentlich Rückenschmerzen gehabt zu haben, z.B. einen verspannten Rücken oder Nacken während stressiger Lebensphasen oder auch kleinere Verletzungen. Da die Schmerzen meist von selbst verschwunden seien, wurde nichts am Alltag verändert. Mit den Jahren nahmen die Schmerzen zu, Entlastungen im Alltag waren kaum noch möglich. Vor allem das „Durchhalten“ trotz Schmerzen beim Arbeiten habe sie viel Kraft gekostet. Heute sei der Alltag sei nur noch Kampf und sämtliche Hobbys und Freundschaften seien über die Jahre weniger geworden. Zeitgleich seien die Schmerzen immer stärker geworden. Hierdurch folgte Rückzug, Bewegung in Schon- oder Fehlhaltung sowie viele Einschränkungen im Alltag. Negative Gedanken sowie Gefühle wie Hilflosigkeit, Traurigkeit, Wut, Grübeln oder verminderter Selbstwert entwickelten sich. Kurz gesagt: Anne verhält sich heute aufgrund der Schmerzen anders, als vor dem Auftreten der Schmerzen. Gerade dieses andere Verhalten (Schonhaltung, Rückzug, …) und das Organisieren ihres Alltags um die Schmerzen herum hält die Schmerzen aufrecht!

 

Nachdem wir nun anhand verschiedener Modelle gesehen haben, wie chronische Schmerzen entstehen, schauen wir uns als nächstes an, welche Möglichkeiten es gibt, den Schmerzen entgegenzuwirken:

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