Was ist Schmerz? (Lesedauer: 4 Minuten)
„Schmerz ist eine unangenehme sensorische und gefühlsmäßige Erfahrung, die mit einer tatsächlichen oder potenziellen Gewebeschädigung einhergeht oder in Form solcher Schädigungen beschrieben wird.“
– Definition der International Association for the Study of Pain (IASP)
Schmerz ist mehr als ein körperliches Signal
Schmerzen werden also sowohl sensorisch (z.B. dumpf, drückend, pochend, bohrend, klopfend, stechend, ziehend-reißend, heiß, brennend) als auch gefühlsmäßig (affektiv, emotional, z.B. elend, schauderhaft, scheußlich, furchtbar, quälend, mörderisch, erschöpfend, schlimm) erlebt. Der Schmerz ist also ein Sinnes- und Gefühlserlebnis. Besonders bei langwierigen Schmerzen nimmt der emotionale Anteil eine immer größere Rolle ein. Schmerzen sind hochindividuell – und können sogar auftreten, ohne dass eine körperliche Verletzung oder Schädigung vorliegt.
Unspezifische Schmerzen – häufig, aber behandelbar
Die Deutsche Schmerzliga schätzt, dass etwa 90 % der Rückenschmerzen „funktionell“ oder „unspezifisch“ sind. Das heißt: Es gibt keine eindeutige körperliche Ursache (z. B. Bandscheibenvorfall, Knochenbruch). Das deckt sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen: Oft lässt sich die Intensität eines Schmerzes nicht allein durch das Ausmaß einer Verletzung erklären. Viel häufiger sind veränderte Körperfunktionen beteiligt, etwa: Muskelverspannungen, Faszienverklebungen, muskuläre Defizite oder verkürzte Bänder, die durch Bewegungsmangel, Fehlbelastungen (Fehlhaltungen), Stress, häufiges Sitzen oder private und berufliche Konflikte entstanden sind.
Die gute Nachricht: Diese Faktoren sind behandelbar.
Warum empfinden wir Schmerz?
Schmerz hat eine wichtige Funktion: Er schützt uns.
Er warnt uns vor Gefahren, motiviert uns zur Schonung und verhindert schwerere Verletzungen. Ohne ihn wäre unser Überleben kaum möglich.
Wie entsteht akuter Schmerz?
Im ganzen Körper sitzen sogenannte Nozizeptoren.
Bei einer drohenden oder tatsächlichen Verletzung senden sie elektrische Signale über Nervenbahnen zum Rückenmark und von dort weiter ins Gehirn.
Schmerz entsteht im Gehirn – und wird dort bewertet
Auf dem Weg dorthin passiert das Signal mehrere „Schaltstellen“:
Im Rückenmark entscheidet ein „Tor“, wie viel vom Signal weitergeleitet wird.
Im Gehirn wird das Signal bewertet – u. a. danach, wie bedrohlich es erscheint.
Das bedeutet: Nicht nur die Reizstärke bestimmt, wie stark der Schmerz empfunden wird – sondern auch:
Gedanken und Gefühle
frühere Erfahrungen
aktuelle Stimmung
Stresslevel
Schlafqualität
Aufmerksamkeit
soziale Umgebung
Schmerzen und Gefühle: eng verbunden
Wussten Sie, dass Schmerz, Stress und Gefühle im gleichen Hirnareal verarbeitet werden – dem limbischen System?
Deshalb können auch soziale Erlebnisse wie Mobbing, Trennungen oder Verluste körperliche Schmerzen auslösen – selbst ohne körperliche Ursache.
Schmerz ist immer auch emotional.
Das Schmerzgedächtnis
Wird ein Schmerz immer wieder erlebt, verändert sich das Nervensystem:
Die Schmerzrezeptoren werden empfindlicher
Das Rückenmark leitet mehr Signale durch
Das Gehirn bewertet diese Signale intensiver
Folge: Schon kleinere Reize führen zu großen Schmerzen – oder Schmerzen entstehen ganz ohne äußeren Auslöser.
Was beeinflusst den Schmerz?
Viele Faktoren können Schmerzen verstärken oder lindern:
Verstärkend wirken z. B.:
Stress
Angst
negative Gedanken
depressive Verstimmung
Einsamkeit
Lindernd wirken u. a.:
Bewegung
soziale Unterstützung
positive Erlebnisse
gezielte Entspannungsverfahren
Achtsamkeit
Wir wissen jetzt wie „akuter“ Schmerz funktioniert. Wie aus akutem Schmerz chronischer Schmerz wird, erfahren Sie hier:
Zusammenfassung:
- Schmerzen werden immer körperlich (sensorisch) und als Gefühl (affektiv, emotional) erlebt. Sie sind ein Sinnes- und Gefühlserlebnis.
- In vielen Fällen gibt es keine primäre strukturelle Schädigung, sondern funktionelle Veränderungen (z. B. Verspannungen).
- Auch bei vorhandener Verletzung erklärt diese oft nicht allein die Schmerzstärke.
- Gehirn und Rückenmark verarbeiten und „steuern“ den Schmerz – stark beeinflusst durch Gedanken, Gefühle und Erfahrungen.
- Schmerz ist lernbar – über das sogenannte Schmerzgedächtnis.
- Chronische Schmerzen hängen eng mit psychischen, sozialen und körperlichen Faktoren zusammen.
- Eine ganzheitliche Betrachtung (biopsychosoziales Modell) ist zentral für eine wirksame Behandlung.

